Wie weit Dänemark den Absenktunnel wohl schon unter den Belt getrieben hätte, wäre da nicht der zögerliche deutsche Apparat gewesen? Lange mussten unsere Nachbarn tun, was ihnen so gar nicht behagt: Warten und den Baupreisen beim Steigen zuschauen. Seit drei Wochen ist der Planfeststellungsbeschluss für den Fehmarnbelttunnel unterschrieben, und es stellt sich etwas ein, das man Planungssicherheit nennen könnte. Fast vier Jahre ist es her, dass das dänische Parlament den Bau genehmigt hat.
Unsere nördlichen Nachbarn aus dem Inselstaat sind auf Zack, wenn es um ambitionierte Verkehrsprojekte geht. Nach Sonderburg baute man eine Autobahn in zwei Jahren, dabei waren drei Jahre eingeplant. Auch die Belt-Anbindung dort ist schon lange vorhanden und der Bau seriös durchgeplant.
Baugesetz und Planfeststellungsbeschluss
Fritz Hilgenstock spricht beim Blick auf die dänische Durchführung von einer „geringeren Planungstiefe“, zum Zeitpunkt der Genehmigung, also der Entscheidung über ja oder nein. Die Verträglichkeit des Projektes werde dann in der weiteren Planung sichergestellt. Der Ingenieur ist Prokurist für internationale Projekte bei der Hamburger Firma WTM Engineers und seit nunmehr zehn Jahren an der technischen Fachplanung der Fehmarnbelt-Anbindung an der Seite der Planungsgesellschaft Rambøll Aruo Tec beteiligt. Man könne das mit einer Urlaubsreise vergleichen. Der Deutsche plane im Vorfeld jeden Restaurantbesuch und jedes Hotel und habe dann das Risiko, doch mal vor verschlossener Tür zu stehen. Der Däne allerdings macht sich eher spontan auf den Weg, aber immer das Ziel vor Augen.
In Dänemark erlässt man ein Baugesetz, schafft sich somit einen politischen Handlungsrahmen – mit Ausstiegsklausel. Die Grundpfeiler stehen und es ist zunächst einmal nicht so entscheidend, wie viele Autos an einem Werktag des Jahres 2034 von Hamburg nach Kopenhagen fahren könnten als die Überzeugung, dass es sich lohnt. Für einen administrativen Planfeststellungsbeschluss, den man in Deutschland über Jahre erarbeitet, müssen Prognosen dieser Art allerdings abgeklärt werden, sagt Hilgenstock.
Nach Gesetz und Vergabe an ein privates Unternehmen nimmt der dänische Staat sich zurück. Konflikte, die es sehr wohl gibt, werden lokal von Kommissionen und Initiativen abgearbeitet – und das möglichst früh. Oft wird auch von vornherein das Marketing-Budget etwas höher angesetzt, um die Bürger früh aktiv mit einzubeziehen und somit teuren Bauverzögerungen durch Klagen vorzuwirken. In Deutschland zeigt sich häufiger, dass solche Geldtöpfe schwierig zu verkaufen sind.
Ideologische Auseinandersetzungen gibt es in Dänemark viele, nicht jedoch im Verkehrsbereich. Strukturschaffung für leichtere Mobilität ist Common Sense im Inselstaat, Regierungswechsel und Wahlkämpfe machen da keinen bedeutenden Unterschied. Ob in Kopenhagen beeindruckende Fahrradbrücken über den Hafen gebaut werden oder in Jütland neue Brücken entstehen sollen: Die Diskussionbereitschaft ist immer da, sofern den Bürgern oder der Wirtschaft ein erkennbarer Vorteil entsteht. „Die wirtschaftlichen Vorteile sind konkreter, werden aber auch im Vorfeld sehr genau durchgerechnet“, sagt Hilgenstock.
Common Sense und Versüßung
Und besagte Vorteile können auch indirekter Natur sein. Die Verbesserung der Bahnlinie Kopenhagen und Ringsted im Rahmen des Fehmarnbelt-Projekts hat den Bürgern in der Hauptstadtregion und darüber hinaus bereits jetzt erkennbare Vorteile gebracht, Kritiker beschwichtigt und Konsens herbeigeführt. Es geht den Dänen eben nicht nur um die Anbindung nach Deutschland und Europa, die durchaus umstritten war. Am Ende gibt es meist die ganz große politische Mehrheit, die die Gesellschaft einbindet.
Jüngst wurde in Kopenhagen eine ganzjährige Ski-Abfahrt auf einer neuen Müllverbrennungsanlage realisiert. In Deutschland wäre solche Aufwertungen undenkbar, was einerseits am höheren Misstrauen in die Politik liegen könnte, aber auch juristisch und durch die Deckelung der Gelder determiniert ist. „In eine Planfeststellung in Deutschland darf nur eingebunden werden, was für das Projekt notwendig ist“, erklärt Hilgenstock, der selber das Ski-Beispiel vortrug, um die Gegensätze herauszustellen. „In Deutschland wäre das planerisch unmöglich dem Steuerzahler Kosten zuzumuten, die für die direkte Erfüllung des Planungszwecks nicht erforderlich sind. Aber für die Akzeptanz der Öffentlichkeit sind solche Kombinationen als Win-Win-Situation natürlich nützlich.“
Optimismus durch Routine
In Dänemark herrscht seit dem Bau der Großer-Belt-Brücke im Jahr 1998 großer Optimismus. Konflikte wurden seinerzeit ebenso intensiv diskutiert, wie bei den heutigen Tunnel-Gegnern auf deutscher Seiten. Dass man die Probleme beherrschbar gemacht hat, nährt das Vertrauen. Und die wirtschaftlichen wie sozialen Auswirkungen werden allenthalben als Errungenschaft bezeichnet. Als großer Stolz des Landes ziert sie die 1000-Kronen-Banknote.
Noch mehr wird diese Euphorie von der Öresundbrücke zwischen Kopenhagen und Südschweden getragen, die die sonst von einer blauen Grenze getrennten Regionen vereinte. Heute pendeln täglich 20.000 Menschen über die Brücke, die die dänische Hauptstadt für die Südschweden hat näher kommen lassen als die eigene. Den dänischen Optimismus nährt auch, dass die Öresundbrücke viel früher Gewinne abwarf als erwartet. Der Skandinavien-Tourismus bekam Aufwind. Die Achse von Malmö nach Kopenhagen ist stärker als die zur schwedischen Hauptstadt.
Konsens und Polarisierung: Eine Frage der Mentalitäten
„Bei der Enteignung haben die Behörden in Dänemark leichteres Spiel“, sagt Volker Heesch von der Zeitung „der Nordschleswiger“, außerdem seien die Klagemöglichkeiten geringer. Dass es auf deutscher Seite nach einem Baubeschluss mit Enteignungen wenigstens juristisch auch nicht so schwierig ist, stimmt zwar auch. Doch liest man in dänischen Zeitungen eigentlich nie von Bürgern, die eine Enteignung durch den Staat skandalisieren. Sie würde womöglich auch Gefahr laufen, als jemand dazustehen, der oder die sich gegen das Interesse des so familiären Gemeinwesens richtet. Bei den Einwendungen stehen auf deutscher Seite 14.000, auf dänischer Seite 43.
Ingesamt, das betont Hilgenstock, seien die Unterschiede vor allem durch die Mentalitäten geprägt. Dänemark als viel kleineres Land profitiere von einem wesentlich besseren Vertrauensverhältnisses zwischen Gesellschaft und Politik. Man ist sich in Dänemark näher – und man kommt sich noch näher durch Verkehrsadern jedweder Art.
Einsprüche umweltpolitischer Natur – etwa die Auswirkungen auf die Strömungsverhältnisse in der Meerenge mit Konsequenzen für die Über- und Unterwasserwelt – wurden durch eine Planungsänderung abgeschwächt: Statt Brücke gibt es einen Tunnel.
Weitere innerdänische Brücken stehen auf dem Themenplan, von Alsen nach Fünen, von Jütland nach Seeland. Mit solchen Überlegungen wird sich vorgetastet. Diskussionsanstöße werden gegeben, oft von Bündnissen. Es werden öffentliche Treffen abgehalten, um schon einmal vorzufühlen, ob es jemals einen Konsens geben könnte. Oft werden diese reichlich besucht, was wiederum ein Unterschied zur hiesigen Kultur ist, wo Partizipation oftmals erst im Streit mobilisiert wird.
Mächtig Stunk gab es vor einigen Monaten aber auch in Dänemark: Als es die Großveranstaltung zum Eurovision Song Contest doppelt so teuer wurde, wie vorher verkündet. Was wäre dort wohl mit dem Vertrauen los, würde ein Bauwerk wie die Elphi in DK am Ende mehr als das zehnfache des angekündigten Preises kosten?